Zum Vorlesen
Antje Damm: Der Besuch
Elise ist ängstlich. Sie hat Angst vor Spinnen, Angst vor Menschen und sogar Angst vor Bäumen. Deshalb bleibt sie immer zuhause, vor einer grauen, papiergebastelten Kulisse. Eines Tages flattert ein Papierflieger ins Haus, blau und frech zischt er vor Elise auf den Boden. Am nächsten Tag geschieht etwas noch Unglaublicheres: Jemand klopft. Rot und gelb leuchtet die Kleidung des Jungen, der seinen blauen Flieger sucht. Von dem Moment an, als Elise ihre Angst überwindet und den Jungen hereinbittet, ziehen Farben in das Haus. Am meisten fasziniert ihn das Bücherregal, er möchte vorgelesen bekommen… Am Nachsatz sieht man erneut ihr Haus, lichtdurchflutet und bunt. Sie hat ihre Angst überwunden und wird dafür mit einem Freund und neuer Lebensfreude belohnt – eine alte Moral, die selten so detailverliebt und farbenprächtig umgesetzt wurde wie bei Antje Damm.
Moritz 2015.
36 S.
Emily Gravett: Noch mal!
Was für Vorlesende normalerweise ein Kompliment ist, wird der Drachen-Eltern-Figur (ob Mama oder Papa bleibt im Text offen) irgendwann zu viel: Nochmal! fordert das kleine Drachenkind unerbittlich nach jedem Lesen der Gute-Nacht-Geschichte von Chlodwig, dem Drachen. So muss die Geschichte den Notwendigkeiten des/der bereits deutlich erschöpften Vorlesenden eben entgegen kommen und wird entsprechend gekürzt, bis sie schließlich der Wut des feuerspeienden kleinen Drachen zum Opfer fällt. Wie in allen Bilderbüchern von Emily Gravett wird lustvoll mit Medialität und Materialität des Buches gespielt – bis hin zu einem durchgestanzten Buchumschlag und einer Prinzessin, die sich aus dem Buch auf den Sammelplatz für Prinzessinnen und Drachen geflüchtet hat…
Aus dem Engl. v.Uwe-Michael Gutzschhahn
Fischer Sauerländer 2015.
32 S.
Andy Lee / Heath McKenzie: Finger weg von diesem Buch
„Lies was anderes!“ steht auf dem Schild, das ein dürres blaues Monster im Graffiti-Stil auf dem Cover hochhält. Beim Aufschlagen werden die Leser*innen dann weiter direkt zum Lektüreabbruch aufgefordert. Auf keinen Fall soll weitergelesen werden! Bitte nicht umblättern! DAs Verbot, das mittels Leser*innenansprache nachdrücklich in verschiedenen Modi von bittend über flehend bis hin zu drohend vermittelt wird, macht natürlich erst recht Lust, herauszufinden, warum wir es nicht tun sollten. Dass das Monster um seine Existenz fürchtet, wird erst nach und nach klar. Ein witziges Buch, das metafiktionales Erzählen ebenso gut inszeniert, wie die schrillen und schrägen grafischen Möglichkeiten dieser zeitgenössischen Illustration.
Aus dem Engl. v. Christine Spindler.
arsEdition 2017.
26 S.
Kristina Andres:
Mäusewinter – Bärenschnee
Kann man den Winter herbeisehnen? Herbeiklingeln? Vielleicht sogar herbeikochen? Nun: Im Haus von Bär und Maus werden schon mal die Winterpantoffeln hervorgeholt, denn der Bär hat so ein Gefühl … Und tatsächlich: während Maus sich selbst als Fledermaus erprobt, fallen die ersten Flocken und dämpfen die Geräusche im wunderbar stillen Vorlesebuch. Denn so herrlich es auch ist, sich mit dem Schlitten durch die Winterwelt zu jagen, im Haus verbreitet bereits die Wintersuppe ihren Duft und lockt auch jene an, die schon mal falsch abbiegen. In ihrem geblümten Wintermantel. Mit dem Fahrrad. Im Schnee. In den hauchzarten Illustrationen gleichermaßen wie im Erzählen in und zwischen den Zeilen wird dieserart das warme Gefühl von Freundschaft sichtbar - mitten im herrlich kalten Winter.
Wien: Nilpferd 2019.
36 S.
John Jory / Benji Davies: Du schon wieder!
Es ist Abend. Zeit, ins Bett zu gehen. Zeit, ins Bett zu gehen? Großflächig gestaltet, werden die beiden Möglichkeiten einander gegenübergestellt: Hier der Bär, der bereits am Entschlummern ist – mit einem wohligen „Oh ja…“ auf den Lippen. Da die Ente, hellwach und aufgeputscht von der Lektüre des Buches „101 Wege, wach zu bleiben“. Also: Auf zum Bären, denn es gibt so viel, was man zu dieser Zeit noch miteinander unternehmen könnte: auf türkisfarbenem Hintergrund werden kleine, karikierend wirkende Szenen in den Bildraum gestellt, die zeigen, wie wunderbar es wäre, jetzt Karten zu spielen, eine Band zu gründen, Smoothies zu mixen. Schlägt die Ente vor. Der Bär wimmelt sie übermüdet ab und wirkt schon reichlich erschöpft, als die Ente erneut bei ihm auftaucht. Da hilft nur ein Machtwort! Aber wem hilft es letztlich? Denn was witzig begonnen hat und sich lustvoll steigert, muss natürlich auf eine entsprechende Schlusspointe hinauslaufen.
Aus dem Amerikan. v. Ebi Naumann.
Hamburg: Aladin 2019.
31 S.
The Umbilical Brothers / Johan Potma: Ein Monster in meinem Haus
„In meiner Küche ist ein Monster, / hilf mir doch, oh weh, / sonst werde ich ganz sicher / gleich Monster-Frikassee.“ Nicht nur die Küche, sondern das ganze Haus scheint unter Monsterbefall zu leiden! Auf jeder malerisch detailreich ausgestalteten Doppelseite – und damit in allen Räumen des Hauses – machen sich Ungeheuer breit: Da besetzt ein grünes Fellknäuel mit nur einem Auge und Hirschgeweih doch glatt die Badewanne und ein wandelnder Busch liest am Schreibtisch Charles Darwins „Über die Entstehung der Arten“. Doch wie aufmerksame Bildbetrachter*innen vielleicht schon früh bemerken, vermag die Wahrheit der Szenerien im geistreichen Spiel mit Wahrnehmungskonventionen erst durch einen ebenso witzigen, wie radikalen Perspektivwechsel erkannt zu werden …
Aus dem Engl. v. Eva Jaeschke.
München: Tulipan 2019.
24 S.
Franziska Biermann: Herr Fuchs und der rote Faden
Er ist wieder da: Der schlaue Bücherfresser, der sich mittlerweile selbst mit Futter versorgt und mit seinen Jacky-Marrone-Krimis zum Bestseller-Autor geworden ist. Mit viel Bildwitz präsentiert die Illustratorin den Aufriss des Fuchsbaus und lässt intime Einblicke in die Welt der „Ideen und Gedankengüter“ einer buch-affinen Kreativ-Existenz zu. Aber (jeweilige Schreckmomente werden mit Schriftarten außer der Reihe angedeutet) – eine ähnlich buchkriminelle Existenz wie der Fuchs selbst schleicht sich durch ein ÜBERSUPPENTELLERGROSSES LOCH ein und räumt die Ideenregale leer. Und schon muss Herr Fuchs selbst zum Ermittler werden und wagt sich am roten Faden des Verlegerpullovers in die (Unter-) Welt dunkler Machenschaften. Bis sich letztlich natürlich doch alles in bibliothekarischem Wohlgefallen auflöst.
mixtvision 2015.
96 S.
René Goscinny: Der kleine Nick und die Schule. Sechzehn prima Geschichten vom kleinen Nick und seinen Freunden.
Schon etwas älter, aber immer noch schön zum Vorlesen und Lesen, die Geschichten vom kleinen Nick. Diesmal dreht sich alles rund um die Schule. In 16 Geschichten erzählt René Goscinny von Nick und seinen Kameraden. Jean-Jacques Sempé lässt wie immer seine kleinen Schwarzweiß-Skizzen einfließen und unterstreicht somit einzelne äußerst humorvolle Szenen der Geschichten. Bei Nick und seinen Kameraden herrschen immer die gleichen amüsanten Regeln. Wer eine Brille trägt, dem darf leider nicht auf die Nase gehauen werden, Otto wird stets wütend, wenn man ihm sein Essen aus der Hand schlägt – und er isst immer – , bei Franz muss man besonders aufpassen, da er am besten auf die Nase hauen kann... Goscinny bedient sich einer sehr einfachen Sprache, er spielt allerdings mit der naiv wirkenden Sprachform. Die Formulierungen kommen einfach und unschuldig daher und man hat das Gefühl, als ob Nick seine Geschichten persönlich erzählen würde. So erlebt man das Erzählte durch Nicks unschuldige Perspektive, gleichzeitig aber auch durch Nicks soziales Umfeld. Z. B. dann wenn jeder Chlodwigs neue Brille beim Abfragen haben will – denn wie jeder weiß macht die Brille einen zum Klassenbesten. Indes kann man aber auch Mitgefühl für die arme Lehrerin entwickeln, die den Anlass des Brillendramas so gar nicht versteht.
Diogenes 2002.
144 S.
Cornelia Funke: Tintenwelt-Trilogie
Das Buch als magische Schwelle bekommt in Cornelia Funkes Tintenwelt-Trilogie eine besondere Relevanz: Denn Mo, der Vater der kindlichen Hauptfigur Meggie, besitzt die Gabe, Gegenstände und Lebewesen aus Büchern herauszulesen, was einst fatale Folgen hatte. Als sich herausstellt, dass auch Meggie selbst diese Gabe hat, wird eine Reihe von Verwicklungen und Abenteuern ausgelöst, in denen stets Verweise auf Bücher und das Lesen eine wichtige Rolle spielen. Im abschließenden dritten Teil „Tintentod“ geht es schließlich um die Frage, wo das Leben besser ist: In der Tintenwelt, der Welt des Buches, oder der real-fiktionalen Welt, in der das Buch geschrieben und (vor)gelesen wird. Von den mittlerweile zahlreich vorliegenden medialen Adaptionen von der Verfilmung bis zum Hörspiel besonders empfehlenswert: Die Hörbücher, in denen Rainer Strecker in variantenreichen Tonlagen die wunderbar exzentrischen Figuren wie die buchverliebte Tante Elinor oder den Feuerspucker Staubfinger zum Leben erweckt.
Dressler 2003/2005/2007.
Martin Baltscheit: So ist das Leben
Zwei Kinder treffen am Dachboden der Villa ihrer Großeltern auf einen echten, ausgestopften Bären. Dieser kommt in Bewegung, verwickelt die beiden in ein Gespräch und zeigt ihnen seine selbst geschriebenen Geschichten. Von hier an fungiert der kindliche Ich-Erzähler der Rahmenhandlung dieser anspruchsvollen sowie feinsinnigen Geschichten- und Gedichtsammlung, als Vorleser. Er beginnt den ersten Text des Bären zu lesen: Will ein Bär den Hunger stillen, muss er grillen. Weitere Episoden verbreiten Bären-Weisheiten, erzählen von Bärenfreunden und -kollegen und inszenieren theatralische Dialoge zwischen einem Bären und einer Krähe – um nur einige der zahlreichen Textbeispiele, darunter auch ganz konkrete Tipps zum Vorlesen, zu nennen. Danach kehren wir immer wieder zurück auf den Dachboden, zurück zu den Geschwistern und deren Familiengeschichte, zu der sich im Nachwort der Autor und Illustrator selbst zugehörig bekennt.
Carlsen 2015.
156 S.
Kleine riesengroße Helden. 6 Mutmachgeschichten zum Vor- und Selberlesen
Bereits in den Jahren 2013 und 2014 erschienen die sechs Bilderbücher, die nun vom Aladin Verlag zu einem Sammelband zusammengefast wurden. Allerdings sind nicht die eindrucksvollen Illustrationen renommierter Autor*innen, der Grund für ihre Zusammenführung, sondern ihre gemeinsame Thematik. Es sind Kinder oder kleine Held*innen, die in ihrer Geschichte im Mittelpunkt stehen. Ihre Aufgaben sind meist große Überwindungen, scheinen für einen Außenstehenden jedoch eher gering. Die Frage, wie die unterschiedlichen Charaktere zu Held*innen werden, wird unterschiedlich behandelt. So muss entweder der Gang in den Keller, die Wiederbeschaffung eines Balls oder das Allein-daheim-Sein gemeistert werden. Allerdings scheint es eher der unschuldige Humor der einzelnen Geschichten zu sein, die diese verbindet, als der nicht immer vorhandene rote Faden des Helden oder der Heldin. Jede*r Held*in löst ihre/seine Probleme auf eine eigene humorvolle Art und Weise.
Aladin 2015.
160 S.
Barbara Gelberg (Hrsg.): Von Drachen und Mäusen. Die schönsten Vorlesegeschichten mit Bildern von Axel Scheffler
Menschen die mit Tieren reden, Tiere die mit Menschen reden lassen sich nicht nur im Fantastischen finden, sondern auch in diesem Vorleseband. Axel Scheffler hat die 29 Geschichten und Märchen illustriert. Mal mit kleineren Illustrationen, die geschickt in den Text einfließen und mal mit großen Illustrationen, die durch ihre ganzseitige Gestaltung mehr Eindruck hinterlassen. Unter den bekannten Autor*innen lassen sich neben den deutschsprachigen, wie z. B. die Brüder Grimm, Christine Nöstlinger oder Michael Ende, auch internationale Größen finden wie Thomas Tidholm, Daniil Charms oder E. E. Cummings. Die Textauswahl liegt hier nicht ausschließlich bei Neuerscheinungen oder Klassikern, sondern bei einer Mischung aus verschiedenen Zeitabschnitten. Dadurch wird gezeigt, dass die älteren Texte Aktualität besitzen und sich die neueren Texte problemlos in die Liga der Klassiker einreihen können. Letztendlich handelt es sich um ein zeitloses Projekt, das die Geschichten und das Vorlesen in den Mittelpunkt stellt.
Beltz & Gelberg 2008.
240 S.
Wie und was vorgelesen werden kann, wurde auch in einer kurzweiligen Medienliste von Kathrin Wexberg im internen STUBE-Card-Bereich vorgestellt.
Wer noch keine STUBE-Card besitzt, findet >>> hier Information und Bestellformular.